"ER HÖRT - Gott in den Ohren liegen" (D. Schulte)

Artikel St. Antoniusblatt, Doppelausgabe September 2023
Daniel Schulte

ER HÖRT…
Gott in den Ohren liegen

In Fortsetzung meines letzten Artikels übers „Hören“ möchte ich heute die Perspektive wechseln. Denn unser Glaube lebt nicht nur vom rechten Hören auf Gott, sondern auch von der Gewissheit, dass ER uns HÖRT. Gott ist „ganz Ohr“ für uns und unsere Anliegen. Er liebt es, wenn wir uns ihm vertrauensvoll mitteilen – im Danken und Loben, in Fürbitte und im Notruf. Oder einfach nur im persönlichen Zwiegespräch, das der Beziehungspflege dient. Wir dürfen Gott mit allem was wir sind und im besten Sinne des Wortes „in den Ohren liegen“!

Die Anregung zu diesen Gedanken kam von einem Bild der Künstlerin Marion Bernhardt, die als Teilnehmerin bei der Bibelwoche dabei war, die ich Anfang August im Liebeswerk Meran gestaltet habe. Sie hatte das Thema „Höre & lebe“ nicht nur mit eigenen, aktuellen „Hör-Bildern“ untermalt, sondern zusätzlich ein Werk mitgebracht, das sie vor längerem in einer eigenen Lebenskrise gestaltet hatte:

„Der Mensch in Gottes Ohr“

Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin dürfen wir dieses Bild hier gemeinsam betrachten. Und wir werden erleben, dass es zu jedem von uns anders spricht. Wie in einem Mutterleib liegt der Mensch in Gottes Ohr. Ein Ort der Geborgenheit und der Menschwerdung. Die freundlichen Gelbtöne sind an den Rändern in Gold gefasst (auf dem Foto leider nicht erkennbar) – sie sprechen vom Licht und von der lebensfreundlichen Ausstrahlung Gottes, aus der wir geboren werden. Wie ein Fötus liegt der Mensch in Gottes Ohr und weiß sich in seiner ganzen Existenz gehört und getragen. In dieser (Gebets-) Haltung gewinnt sein Leben nicht nur an Form, sondern auch an Farbe. Ein Bild, das uns als Einladung dienen darf: Beten ist eben weit mehr als nur „Gebete sprechen“. Beten bedeutet, mich mit meiner ganzen Existenz von Gott gehört und erhört zu wissen. Glaube und Gebet leben aus der Gewissheit, dass Gott ganz Ohr ist für uns – mit allem was uns ausmacht, immer und überall.

Hören und gehört werden

Davon leben wir. Wie wichtig das eigene Hören für Glauben und Leben ist, haben wir im letzten Artikel besprochen. Genauso aber leben wir davon, selbst Gehör zu finden. Schon als Neugeborene lernen wir, wie wichtig es ist, dass Mama unsere Rufe hört, damit wir versorgt werden mit Nahrung und Nähe. Und so bleibt es unser Leben lang – wir brauchen Menschen, die uns wahrnehmen und zuhören. Nur so lassen sich Beziehungen leben und Probleme lösen. Umso bedeutsamer ist die Beobachtung, dass die Bibel voll ist mit Zusagen über einen hörenden Gott, über seine Zuwendung und sein Zuhören. Über einen Gott, der Beziehung mit uns leben will und deshalb höchst interessiert ist an allem, was wir ihm mitzuteilen haben. Über einen Gott, der jederzeit erreichbar ist. So wie es der Psalmist in Worte kleidet: „Sollte der nicht hören, der das Ohr gepflanzt hat und sollte der nicht sehen, der das Auge geformt hat?“ (Psalm 94,9). Und so wie Gott selbst es durch den Propheten Jesaja verheißt: „So wird es sein: Ehe sie rufen, antworte ich; während sie noch reden, höre ich.“ (Jesaja 65,24)

Leben und Beten als Antwort

Bleiben wir aber nochmal beim Zusammenhang zwischen „hören und gehört werden“. Denn dazwischen liegt etwas Entscheidendes. Wie wir bereits gesehen haben, verdanken wir Menschen uns dem Reden Gottes – so wie der Kosmos überhaupt („Gott sprach… und es wurde…“). Und kaum wurde der Mensch (durch Gottes Reden) erschaffen, erlebt er die persönliche Ansprache Gottes. Gott wendet sich also dem Menschen zu, teilt sich ihm mit – und spricht ihm Wertschätzung, Verantwortung und Sinn zu. So wie damals Adam und Eva, so auch uns, bis heute! Und ja: der Mensch ist offenbar dazu geschaffen, zu hören (vgl. das „Sh´ma Israel“ bzw. mein letzter Artikel). Aber noch mehr: wir sind dazu geschaffen, in Antwort auf Gottes Reden zu leben. Darin finden wir unsere Erfüllung und Bestimmung. Die Schlussfolgerung, die ich hier wichtig finde, lautet: Die Gewissheit, dass Gott „ganz Ohr“ ist für uns, setzt unsere Bereitschaft voraus, auf sein Reden zu antworten und uns ihm mitzuteilen. Man könnte auch sagen: Glauben und Beten bedeutet, nicht zur auf Gott zu hören, sondern im Dialog mit ihm zu leben.

Adam, Henoch und Mose: Mit Gott spazieren gehen

Für die ersten Menschen im Garten Eden gehörte es offenbar zur alltäglichen Erfahrung, mit Gott „spazieren zu gehen“. Denn wir lesen, dass Gott selbst auf Besuch im Paradies vorbeikam und ungezwungen mit Adam und Eva sprach. Das will uns ermutigen, das persönliche Zwiegespräch mit unserem Schöpfer zu pflegen. Wenn meine Frau und ich gemeinsam spazieren gehen, genießen wir dabei nicht nur die Bewegung und schöne Umgebung, sondern speziell die Tatsache, dass wir unterwegs so wunderbar miteinander reden können. Zurück zur biblischen Genesis: Spannend ist, was wir auch beim gottesfürchtigen Henoch lesen (Genesis 5,22). Zunächst wird er hervorgehoben als der siebte nach Adam (bei der Zahl 7 dürfen wir immer wissen: besonders wichtig aus Gottes Perspektive!). Und dann wird uns mitgeteilt, dass Henoch „mit Gott wandelte“. Das beschrieb offenbar sein Leben – er war im Dialog mit Gott unterwegs, im Hören und Antworten. Wunderschön.

Wenn wir noch ein biblisches Beispiel suchen, bietet sich Mose an, von dem wir lesen, dass Gott mit ihm „von Angesicht zu Angesicht“ sprach, „wie ein Mann mit seinem Freund“ (Exodus 33,11).

Wie immer wir es also nennen – wir sind offenbar dazu geschaffen, im persönlichen Dialog mit Gott zu leben, mit der Gewissheit, dass Gott uns hört und liebend gerne zuhört!

Hagar, Hanna und die Witwe: „Rufe mich an in der Not“

Auf wunderbare Weise erzählt uns die Bibel nicht nur von Männern und ihren Gottesbeziehungen, sondern ebenso von Frauen, die sich von Gott erhört erlebten – und zwar speziell in Notzeiten.

Wir begegnen Hagar, der Magd von Abrams Frau Sarai, die mit ihrem Sohn Ismael verstoßen wurde und sich in der Wüste dem sicheren Tod ausgeliefert sah. Beide hatten keine Kraft mehr zu beten, Hanna konnte nur noch weinen. Und dann lesen wir: „Da erhörte Gott die Stimme des Knaben“ und half ihnen. Ihr verzweifeltes Weinen wurde von Gott gehört und als Gebet verstanden – er versorgte sie mit Akuthilfe, vor allem mit Wasser - und sprach ihnen dann Mut und Zukunft zu (vgl. Genesis 16 und 21,8-21). Wunderschön!

Im 1. Buch Samuel 1 finden wir Hanna, eine Frau, die an ihrer Kinderlosigkeit leidet (in der damaligen Kultur eine umso größere Not) und Gott damit beständig in den Ohren liegt. Mit dem Ergebnis: Sie wird schwanger und weiß sich von Gott mit einem Sohn beschenkt: „Ich habe um diesen Knaben gebetet und der HERR hat mir die Bitte erfüllt, die ich an ihn gerichtet habe“. (1. Samuel 1,27)

Und später dann im Neuen Testament erzählt Jesus von einer bittenden Witwe, die bei einem ungerechten Richter unablässig um ihr Recht ansucht – und schließlich ihren Willen bekommt (Lukas 18,1-8). Jesus deutet diese Erzählung auf unser vertrauensvolles Beten und ermutigt uns, Gott ebenso in den Ohren zu liegen wie diese Witwe dem Richter. Wenn dieser böse Mensch sich schon bitten lässt, dann wieviel mehr ein liebender Gott, so sein Fazit!

5015: Gottes Notrufnummer

Es ist, als ob diese drei Frauen – und viele andere biblische Vorbilder - die Notrufnummer Gottes kannten: 50-15, wie sie oft genannt wird nach Psalm 50,15: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten!“ Ja, Gott macht uns Mut, mit unserer Not nicht allein zu bleiben, sondern uns von höchster Instanz helfen zu lassen. Wie kostbar dieser himmlische Hilfs-Service ist, lässt sich für jeden nachvollziehen, der schon mal in Bergnot geraten ist und sich nur noch mit einem Notruf zu helfen wusste. Wie gut, dass diese internationale Nummer rund um die Uhr besetzt ist und zahlreiche kompetente Berghelfer bereit sind, sofort aufzubrechen und die notwendige Hilfe zu leisten – oftmals direkt „vom Himmel“ per Helikopter. Ein wunderschönes Bild für unsere Möglichkeit, Gott anzurufen. Natürlich hört Gott uns immer und freut sich auch über alltägliche Gespräche. Einfach zur Beziehungspflege. Scheinbar vergessen wir ihn jedoch gerne, solange es uns gut geht. Aber spätestens die Not lehrt uns das Beten. Und wie wunderbar ist es, dann zu erleben: ER HÖRT und hilft!

Auch ein anderes Psalmwort (Psalm 55,2) dürfen wir hier bewusst hören und in Anspruch nehmen:

„Wirf dein Anliegen auf den Herrn!

Der wird dich versorgen…

denn Seine Gnade reicht, soweit der Himmel ist,

und keiner wird zuschanden, der Seiner harret.“

Dieser göttliche Zuspruch wurde von Felix Mendelssohn-Bartholdy (*1809 †1847) im bekannten „Elias“ so wunderbar vertont und darf somit als musikalische Erinnerung dienen, uns dem hörenden und helfenden Gott immer wieder neu anzuvertrauen.

Dein Wort in Gottes Ohr: Mehr als wir hoffen dürfen…

So drückt man gerne die Hoffnung aus, dass unsere Wünsche das Ohr Gottes erreichen und von ihm erfüllt werden. Wir dürfen es als Einladung nehmen, aus allem ein Gebet zu machen – nicht nur aus unseren Wünschen und Erwartungen, aus unseren Nöten und Krisen – sondern auch aus unserer Dankbarkeit und Lebensfreude. Gott will so gerne Anteil haben an unserem Leben, sich mit uns freuen, mit uns leben. Er liebt es, einfach unsere Stimme zu hören. Glaube versteht sich deshalb als alltägliches, vertrauensvolles Zwiegespräch mit unserem Schöpfer und Erlöser. Glaube lebt aus der Gewissheit, dass meine Gebete erhört werden und dass Beten weit mehr ist als nur Bitten. Beten ist Beziehung, Beten ist Dialog mit dem Gott, der hört.

ER HÖRT: „Nach dem Amen bete weiter“

So lautet der Titel eines lesenswerten Buches von Hans Peter Royer, einem langjährigen Kollegen und begnadeten Prediger des Evangeliums, der leider vor 10 Jahren bei einem Paragliding-Unfall in seiner Heimat am Dachstein (A) ums Leben kam. Dieser vielsagende Titel will uns hier abschließend erinnern:

  • Beten ist mehr als vorformulierte Gebete zu sprechen, so wertvoll diese sind
  • Beten ist auch mehr als gesprochenes Gebet überhaupt: es bedeutet, mit meinem ganzen Dasein Gott in den Ohren zu liegen, mich immer und überall von ihm wahrgenommen und getragen zu wissen. Beten ist die Haltung des Vertrauens, die unser Verhalten prägen will
  • Auch Arbeiten ist Beten. So wie das bekannte, altkirchliche Motto „ora et labora“ – beten und arbeiten gehören zusammen. Und mein ganzes Tun will als Antwort verstanden werden auf Gott. In meinem ganzen Tun soll ich mich von seinem Willen und seinen Werten bestimmen lassen. Mit allem, was ich bin und habe, tue und lasse, soll ich Gott ehren.

In diesem Sinne wünsche ich uns ein fröhliches, vertrauensvolles und persönliches „Wandeln mit Gott“, ein alltägliches Hören auf den Gott der redet und Reden mit dem Gott der hört. Und die Erfahrung, dass dadurch Farbe und Friede ins Leben kommt.


(Hinweis: Die Rechte für das Bild von Marion Bernhardt liegen bei der Künstlerin. Nutzung und Weitergabe nur mit Genehmigung. Kontakt und Infos unter www.galerie-bernhardt.de)